Zwei Tage lang lag der dicke Kartonumschlag in meiner Wohnung, bevor ich mich getraute, ihn zu öffnen. Ich wusste, es würde ein harter Brocken werden. Aber irgendwann musste ich ja.
Eigentlich hatte ich gedacht, ich könnte das Fotoalbum, das nun vor mir lag, noch mit meinem Mann zusammen anschauen. Ich habe so viele Bilder von unseren gemeinsamen Reisen, Wanderungen, Ausflügen auf dem PC, die ich bestenfalls einmal anschaue, wenn ich ein geeignetes Bild für einen Blog-Beitrag suche. Als mein Mann krank wurde, begann ich damit, ein Album mit Bildern von ihm zu erstellen. Kein Querschnitt durch unsere gemeinsamen 24 Jahre, aber immerhin von den letzten 12 Jahren, seit ich auf Digitalfotografie umgestiegen bin. Ich hatte immer gehofft, dass wir uns das Album noch gemeinsam ansehen könnten. Aber die Zeit lief mir davon. Es war mir plötzlich wichtiger, die letzten Wochen an der Seite meines Mannes als vor dem Monitor zu verbringen.
Als mir der Moment endlich geeignet schien, richtete ich mich im Wohnzimmer gemütlich ein, entfernte die Kartonverpackung und anschliessend das Cellophan-Papier um mein Werk. Lange betrachtete ich den Deckel, den dieses Bild schmückt:
Die ersten Emotionen überkamen mich schon, als ich den Titel las: „Die schönsten Momente unseres gemeinsamen Weges“. Langsam blätterte ich Seite für Seite um. Obschon ich die Bilder kannte, jedes einzelne selber geschossen hatte, entdeckte ich viel Neues auf den über einhundert Seiten. Es wurde ein tränenreicher Abend. Ich überlegte mir, was mein schwerkranker Mann dabei empfunden hätte, wenn er all diese Bilder von sich gesehen hätte, als er noch stundenlange Wanderungen unternehmen konnte, bei Wind und Wetter auf der Skipiste stand, auf den See zum Angeln ruderte. Vielleicht ist es besser, dachte ich beim Betrachten der Bilder plötzlich, dass ihm dies erspart blieb. Es hätte ihn nur noch mehr auf seinen hilf- und aussichtslosen Zustand aufmerksam gemacht.
Aber mir wird das Album helfen, das Bild meines Mannes wieder ins richtige Licht zu rücken. Weg vom schwer angeschlagenen, unheilbar Kranken hin zu dem was ich an ihm immer sah: Den unternehmungslustigen, witz- und geistreichen, liebevollen Ehemann, der auf alles eine Antwort wusste und mir so sehr das Gefühl von Sicherheit vermittelt hat. Momentan bin ich zwar noch weit davon entfernt, aber ich hoffe zumindest, dass mir das in absehbarer Zeit gelingen wird.