Black Friday

Liebe Emma

Die Glocken haben heute ganz für dich alleine geläutet, die Klänge der Orgel galten einzig dir.

Nun bist du wieder an der Seite deines Mannes. Du hast doch Pinky schon angetroffen, oder?

Bestimmt wird dir auch bald dein jüngerer Bruder begegnen. Sag ihm bitte, wie sehr ich ihn vermisse.

Leb wohl!

Bea

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Todestag

Todestag”, was für ein grässliches Wort!

Erster Todestag” – nicht minder grässlich. Brutal. Eine Leidensgeschichte. Unabwendbar. Heute.

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Red heart Mein über alles geliebter Mann  Red heart

Heute vor einem Jahr hast du in meinen Armen deinen letzten schweren Atemzug gemacht, wurdest von deinen unsäglichen Leiden erlöst.

Vieles ist seither geschehen. Es sind Türen aufgegangen, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. Dennoch vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denken würde. Du bleibst immer in meinem Herzen, wirst bis an mein Lebensende ein Teil von mir sein.

Deine Bea

Mein Schatzkästchen

Mein Mann war ein Mensch der Taten und Worte. Kein Theoretiker. Von unbarmherzigen Umständen in seiner Jugendzeit geprägt, stand er mit beiden Beinen im Leben. War sehr nüchtern. Zu meinem Leidwesen nur bedingt romantisch. Lesen und Schreiben war ausserhalb des beruflichen Alltags nicht so sein Ding. Nur in den Anfängen unserer Beziehung schrieb er mir. Dafür fast täglich.

Diese Briefe, Karten, Zitate, ironischen “Vermisstanzeigen”, sie alle habe ich aufgehoben. In einer Schachtel, die mein Mann mir mal als Geschenk von einer Geschäftsreise nach Paris mitbrachte.

Als wir nach einem halben Jahr zusammenzogen, kam der Postfluss abrupt zum Stoppen. Fortan bedurfte es besonderer Anlässe, damit ich in den Genuss einiger Zeilen kam.

Die Karte zu meinem 31. Geburtstag hatte mein Mann selber gestaltet. Er verwendete damals Rubbelbuchstaben (weiss jemand hier überhaupt noch, was das ist?) und schrieb mir in geschwungenen Lettern diesen Satz, der mich noch immer tief berührt und trotz der ganzen Nüchternheit, die mein Mann für Aussenstehende mitunter ausstrahlte, seine tiefe Liebe zu mir zum Ausdruck brachte.

Du bist meine Lebensquelle.
Ich trinke von Dir und bin ewig durstig.

Heute wäre unser 20. Hochzeitstag.

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Kiss the fish

Im letzten Oktober bot sich meinem Mann die rare Gelegenheit, bei uns am See ein Ruderboot zu kaufen. Rar insbesondere deshalb, weil die Bootsplätze Mangelware sind. Er hatte das Privileg, nicht nur ein wunderschönes Holzruderboot zu erwerben, sondern auch den dazugehörigen Liegeplatz im Bootshaus. Die bestmögliche Variante.

Wie hatte er sich darüber gefreut! Fischen war ihm in den vergangenen Jahren ein geliebtes Hobby geworden, das er beinahe zur Perfektion ausgebaut hatte. Das eigene Boot war das Tüpfchen auf dem I. Ich malte mir aus, wie ich im darauffolgenden Sommer mit ihm zusammen auf den See raus rudern würde. Ich würde öfters mitgehen als bis anhin, weil das Boot grösser war als jenes, das er gemietet hatte.

Es kam anders. Nach der Krebs-Diagnose im März hatte mein Mann gerade noch genügend Kraft, um das Boot nach der Überwinterung wieder einsatzbereit zu machen. Es war höchst ungewiss, ob er jemals wieder angeln gehen könnte. Vielleicht noch in Begleitung. Ich hatte mir damals geschworen, ich würde jeden Fisch einzeln küssen, sollte mein Mann nochmals in der Lage sein, auf den See raus zu rudern, zu angeln und einen Fang heim zu bringen.

Es war ihm nicht vergönnt. Als er schon deutlich angeschlagen war, fädelte er den Verkauf seines Boots an einen Kollegen ein. Was muss damals in meinem Mann vorgegangen sein. Ein weiterer Funke Hoffnung war erloschen.

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Dieses Bild zeigt meinen Mann auf einer seiner wenigen Ausfahrten mit dem eigenen Boot im letzten Herbst. Es entstand heute vor einem Jahr. Für mich strahlt es eine derartige Symbolkraft aus, dass ich das Bild verwendet habe für die Danksagung.

Die ominösen drei Monate

Nach drei Monaten, da gehe es erst so richtig los, beschied man mir von verschiedener, wohlwissender Seite. Nach drei Monaten, da sei die Schonzeit abgelaufen. In den ersten drei Monaten würden sich alle rührend um einen kümmern. Sie würden anrufen, sich erkundigen, wie es einem geht, würden einem zum Kaffee, für ein Essen oder einen Spaziergang einladen. Doch danach herrsche für Freunde und Bekannte wieder der Normalfall. Und ein Grossteil der administrativen Arbeiten im Zusammenfall mit dem Todesfall sei erledigt. Und dann, erst dann, beginne für einen selber das grosse Loch.

Das wäre nach dieser Zeitrechnung jetzt. Es sind gut drei Monate vergangen, seit mein über alles geliebter Mann gestorben ist. Tatsächlich, bisher habe ich mich stets gut beschäftigen und ablenken können. Ich war zwar alleine, aber nicht allzu oft. Indes habe ich nie mit den Händen im Schoss gewartet, bis mich jemand auf einen Kaffee eingeladen hat, ich bin häufig selber vorgeprescht. Habe gar “schon” wenige Tage nach der Beerdigung erstmals Besuch eingeladen, wie man mir mitunter missbilligend attestiert hat.

Ich habe vor wenigen Tagen das Wohnzimmer frisch streichen lassen. Damit habe ich lediglich zu Ende geführt, was mein Mann und ich für diesen Herbst angedacht hatten. Ich leiste mir kleine Freuden. Sei es ein Besuch im Theater, ein gutes Stück Fleisch, ganz gediegen und alleine einen Aperitif, wenn mir der Sinn danach steht, oder ein neues Paar Schuhe.

Meine Telefonrechnung hätte galaktische Ausmasse angenommen, hätte ich nicht vor Monaten schon eine Flat Rate eingebaut. Ich habe mich nicht daheim verkrochen, sondern bin unter die Leute gegangen. Bin auf Freunde und Bekannte zu gegangen. Ich glaube, das hat ihnen einen unverkrampfteren Umgang mit mir und meiner neuen Situation ermöglicht, als wenn ich ständig mit verweintem Gesicht durch die Gegend gelaufen wäre.

All das heisst nicht, dass ich nicht trauern würde. Um den geliebten Menschen, um das Leben, das nie mehr sein wird, wie es war. Wieso habe ich eigentlich ständig das Gefühl, mich für mein Tun rechtfertigen zu müssen?

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Unser gemeinsame Weg

Zwei Tage lang lag der dicke Kartonumschlag in meiner Wohnung, bevor ich mich getraute, ihn zu öffnen. Ich wusste, es würde ein harter Brocken werden. Aber irgendwann musste ich ja.

Eigentlich hatte ich gedacht, ich könnte das Fotoalbum, das nun vor mir lag, noch mit meinem Mann zusammen anschauen. Ich habe so viele Bilder von unseren gemeinsamen Reisen, Wanderungen, Ausflügen auf dem PC, die ich bestenfalls einmal anschaue, wenn ich ein geeignetes Bild für einen Blog-Beitrag suche. Als mein Mann krank wurde, begann ich damit, ein Album mit Bildern von ihm zu erstellen. Kein Querschnitt durch unsere gemeinsamen 24 Jahre, aber immerhin von den letzten 12 Jahren, seit ich auf Digitalfotografie umgestiegen bin. Ich hatte immer gehofft, dass wir uns das Album noch gemeinsam ansehen könnten. Aber die Zeit lief mir davon. Es war mir plötzlich wichtiger, die letzten Wochen an der Seite meines Mannes als vor dem Monitor zu verbringen.

Als mir der Moment endlich geeignet schien, richtete ich mich im Wohnzimmer gemütlich ein, entfernte die Kartonverpackung und anschliessend das Cellophan-Papier um mein Werk. Lange betrachtete ich den Deckel, den dieses Bild schmückt:

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Die ersten Emotionen überkamen mich schon, als ich den Titel las: „Die schönsten Momente unseres gemeinsamen Weges“. Langsam blätterte ich Seite für Seite um. Obschon ich die Bilder kannte, jedes einzelne selber geschossen hatte, entdeckte ich viel Neues auf den über einhundert Seiten. Es wurde ein tränenreicher Abend. Ich überlegte mir, was mein schwerkranker Mann dabei empfunden hätte, wenn er all diese Bilder von sich gesehen hätte, als er noch stundenlange Wanderungen unternehmen konnte, bei Wind und Wetter auf der Skipiste stand, auf den See zum Angeln ruderte. Vielleicht ist es besser, dachte ich beim Betrachten der Bilder plötzlich, dass ihm dies erspart blieb. Es hätte ihn nur noch mehr auf seinen hilf- und aussichtslosen Zustand aufmerksam gemacht.

Aber mir wird das Album helfen, das Bild meines Mannes wieder ins richtige Licht zu rücken. Weg vom schwer angeschlagenen, unheilbar Kranken hin zu dem was ich an ihm immer sah: Den unternehmungslustigen, witz- und geistreichen, liebevollen Ehemann, der auf alles eine Antwort wusste und mir so sehr das Gefühl von Sicherheit vermittelt hat. Momentan bin ich zwar noch weit davon entfernt, aber ich hoffe zumindest, dass mir das in absehbarer Zeit gelingen wird.

Schon schön betont

Es war erst gut einen Monat her, dass mein Mann verstorben war. Da hatte mich eine Kollegin an einem Sonntag zum Mittagessen eingeladen. Sie hatte eine Freundin eingeladen und gedacht, ich würde auch ganz gut in die Runde passen.

Wir drei Witwen verbrachten einen unterhaltsamen Sonntag. Ich erwähnte nebenbei mal, ich hätte vor wenigen Tagen Gäste bekocht. Da schaute mich die Frau, die ich erst wenige Stunden kannte, an und entgegnete völlig entgeistert diese zwei Worte, die mich seither nicht mehr loslassen:

“Jetzt scho-o-o-n?”

Ich war perplex. Was erwartete man von mir? Was dachte meine Umwelt im allgemeinen und diese Frau im besonderen von mir, was vier Wochen nach dem Tod meines Mannes angebracht wäre? Wie lange sollte ich mich daheim verkriechen? Trübsal blasen und Trauerkleidung tragen.

Tatsache ist: Ich habe nicht ein einziges Mal schwarze Kleidung getragen. Nicht mal an der Abschiedsfeier. Meine Trauer über den Tod meines Mannes äussert sich nicht darin, dass ich mit verweinten Augen herumlaufe, kein Radio an habe, mir keine Unterhaltung, kein Lachen und keine Kontakte zur Aussenwelt erlaube. Das wäre ganz und gar nicht im Sinne meines Mannes gewesen.

Wenn die besagte Witwe wüsste, was ich in nächster Zeit geplant habe, würde sie wahrscheinlich vor lauter “jetzt schon?” gehörig nach Luft schnappen.

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Verloren

Sie hätte “auch” ihren Mann verloren, erzählte mir eine flüchtige Bekannte.

 

W i e   b i t t e ? ! ?            

 

! ! !  V e r l o r e n ! ! !

 

Was ist das denn für eine idiotische Redensart? Ich habe meinen Mann nicht verloren. Ich habe ihn nicht verloren wie einen Schlüsselbund, der mit viel Glück wieder auftaucht oder im Fundbüro abgegeben wird.

Mein Mann ist gestorben. Das ist die traurige Wahrheit. Und die wird durch beschönigende Worte und verharmlosende Umschreibungen nicht mal ansatzweise weniger brutal.

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Reaktionen und Reaktionen

Die Reaktionen, wenn ich jemandem mitteilen muss, mein Mann sei verstorben, fallen sehr unterschiedlich aus. Ich gebe zu, ich bin etwas sensibilisiert worden und habe es mir beinahe zum Sport gemacht, diese Reaktionen genau zu beobachten.

Die Einen nehmen es zur Kenntnis, drücken mit knappen Worten ihr Beileid aus und gehen wahlweise zur Tagesordnung über oder fragen nach bezüglich dem Warum und Wieso. Die Anderen fallen mir um den Hals und brechen in Tränen aus. Diese Variante kommt selbstverständlich nur beim persönlichen Kontakt in Frage.

Die schriftliche Variante ist offenbar für Viele die angenehmste. Ich kann das gut nachvollziehen. Persönlich kommen mir die Worte “mein Beileid” oder “ich kondoliere dir” auch äusserst schwer über die Lippen. Aber ich sitze ja diesmal auf der anderen Seite der Gefühls-Gigampfi.

Ich habe wahnsinnig schöne Beileidskarten erhalten. Schön gestaltete, aber vor allem auch schön formulierte. Und wenn immer ich sie wieder hervornehme und die einfühlsamen Worte lese, kommen mir die Tränen.

Leider geht es auch anders. Dies beweist das folgende, im O-Ton geschilderte Gespräch, das ich mit der Sekretärin einer Klinik am Kantonsspital geführt habe.

Grüezi, da isch Frau Flohnmobil.
Ich möchti gern en Termin absäge wo mim Maa no gha hetti am 24. Juli.

Ja, isch guet, wämmer grad en neue abmache?

Nei, min Maa isch hütt gstorbe.

Aha … ja … isch guet. Danke. Adieu.

Etwas mehr Empathie sollte man von jemanden in einer solchen Funktion eigentlich erwarten dürfen. Nicht nur, weil mein Mann dort in den letzten Monaten Stammgast war.